Findelente

Ein Tag am See. Da war diese Ente, die verspielt nach fliegenden Insekten schnappte, sich schelmisch nach den umliegenden Beobachtermenschen umschaute um dann ungeniert über ihre Badetücher zu latschen, und neugierig ihre Taschen nach Essbarem zu durchsuchen. Meine Vollkornkekse liessen sie schnabelrümpfend eine Kehrtwendung machen. Eine Weile wunderte ich mich über ihre seltsamen Beinbewegungen im hohen Gras. Wie Fußball. Die WM war ja erst kürzlich, ich kann mich also erinnern, wie sowas aussieht, da kann mir selbst eine Ente nichts vormachen. Irgendwie so muss es passiert sein… Ein letzter Tritt mit dem Patschfuß und Tor! Das Ei war drin, es stand ja kein Torwart vor meinem Rucksack. Schwarzer Rucksack, der stundenlang bei 34° im Sonnenschein vor sich hin köchelte. Bruthitze.

Zuhause bemerke ich nicht, wie das fertige Kind aus dem geknüllten Handtuch torkelt, durchgeschüttelt von der Radltour. Ein verwackeltes Bild ist das erste, was es von dieser Welt zu sehen bekommt.

Erst in dem Moment, als ich ein leises Knacksen und Knirschen höre, sehe ich das flauschige Entenkind durch meine Wohnung watscheln, frisch gefönt vom heissen Fahrtwind. Ich denke an Erschöpfungssymptome, die manchmal die seltsamsten Filme vor einem ablaufen lassen, doch die zertretenen Eierschalenschnipsel, die an meiner Fußsohle kleben, lassen sich mit dieser einfachen Erklärung nicht abschütteln. Ein leises Piepsen macht mich stutzig, und als auch noch ein Verdauungsprodukt der Vollkornkekse, die seine Mutter noch verschmäht hat, auf das Parkett ploppt, fange ich an meiner Wahrnehmung zu trauen. Ich beobachte es, wie es unsicher auf den Beinen ziellos umherwackelt, Kekskrümel am Schnabel. Den Anstieg vom Holzfußboden auf den dicken Teppich überwindet es heldenhaft, und kämpft sich weiter durch die dichte Schafswolle, ab und zu hüstelnd wegen der feinen Flusen, die dadurch noch wilder aufstöbern. Einige setzen sich in sein Flaumkleid. Es wird naturweiss aufgeplustert, bis es wie ein wildgewordenes Wollknäuel über den Teppich stolpert. Blind vor Wolle stösst es gegen das Tischbein und macht eine Bauchlandung auf dem Parkett. Ich sammle es auf, zupfe es flusenfrei, und überlege, was ich nun mit ihm machen soll.

Morgen, ja morgen fahren wir gemeinsam an den See. Und die Wohnung können wir uns teilen – sie bekommt den Rucksack, ich das Bett.

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3 Antworten to “Findelente”

  1. Renate Says:

    Allerliebst ausgedacht, Kompliment.
    Was die Sache mit der Blogroll betrifft; da werd‘ ich mich gleich revanchieren. Bei Entenkindern werde ich schwach und beim Schwimmen halte ich den Kopf ins Wasser. Ehrenwort.

  2. montagmorgen Says:

    Oh, wie schön!

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