Archive for April 2010

Stadtindianer

April 30, 2010

Erst neulich habe ich erfahren, dass es Leute gibt, die gar nicht wissen, dass man in unserer rechtsorientierten Autogesellschaft auch als Radfahrer auf dem Radweg immer „in Fahrtrichtung“ (der Autos) fahren muss. Ich weiss wenigstens, dass ich tagtäglich in voller Absicht gegen eine nicht mehr zeitgemäße Regel verstoße, und habe mich, mit Kopfhörern bekleidet, so auch nicht gewundert, als sich mir morgens ein fünffach besetzter Mannschaftsbus der Polizei so plötzlich in den Weg stellte, dass ich nur durch eine Schleudervollbremsung der unsanften Landung auf der Motorhaube entging. Durch das offene Fenster rief mir der Fahrer irgendwas entgegen, ich antwortete nur, dass ich jetzt keine Zeit hätte, ich wollte ja die S-Bahn erwischen, muss der mich jetzt nerven.

Am Ende einer kleinen Straße, durch die keine Autos passieren können, sah ich, dass mir der Bus doch tatsächlich gefolgt war. Naja, hiermit war er ja dann abgehängt. Dachte ich. Das komische Gefühl im Bauch hätte ich wohl ernst nehmen sollen, war es doch eigentümlich genug, dass sich die grünen Männer gleich fünffach mit einem einfachen Zweiradverbrechen aufhalten. Ich war nicht sonderlich überrascht, als mir der Bus mitten auf einer großen Kreuzung an einer Verkehrsinsel den Weg versperrte, der grüne Fahrer hatte mittlerweile als Gesichtsfarbe die Komplementärfarbe Rot gewählt – könnte auf einen ausgeglichenen Charakter hinweisen. Ampelfarben, passend zu der, die er mitten auf der Kreuzung gerade blockierte. Selbst als er wutschnaubend meinen Ausweis schon in den Händen hielt, meldete er Fluchtgefahr als Grund an, meinem Vorschlag, einträchtig die Kreuzung zu verlassen um die säuerlichen Berufsverkehrsmenschen nicht durch unseren kleinkarierten Konflikt zu behindern, keine Folge zu leisten. Ich war ja schonmal geflüchtet, und sie hätten mich mit Blaulicht verfolgen müssen. Ja, ich hob schon meinen Finger, um einzuwerfen, dass ich doch wegen der lauten Musik aus meinem Kopfhörer gar nicht verstanden hätte, was er denn eigentlich von mir wollte, und somit völlig unwissentlich geflüchtet bin, zog ihn dann aber doch ganz unauffällig zurück, leise ahnend, dass er das, hm, falsch verstehen könnte? Als Kritik vielleicht, dass er nicht laut genug gebrüllt hat?

Während die Rothaut im Auto meine Daten überprüfte passte ein jüngeres Bleichgesicht auf mich auf, ich könnte ja vor meinem Ausweis flüchten, weil ich endlich endlich anonym leben möchte. Es klärte mich auf, dass es nun statt einer Verwarnung zu einer Anzeige wegen drei Vergehen käme. Musikhören, Linksfahren, Wegfahren. Den Preis für die gegengerichtete Fahrerei wusste er nicht, wieder hob sich mein Finger, um dann verstohlen wieder herabzusinken. Mich beschlich das vage Gefühl, dass er sich belehrt fühlen könnte, wenn ich ihm sage, dass ich mich da auskenne: 15,- Eumel. Hatte ich doch erst letztes Jahr, ausser die Preise sind inzwischen gestiegen. Ich redete ihn stattdessen in diplomatischfreundlichem Ton mundtot mit meiner fundierten Meinung über überholte Regeln in einer autogläubigen Gesellschaft, die ihre Halsmuskeln nur noch einseitig beim Linksdreh beansprucht, was als neue Volkskrankheit den Schiefhals auf den Plan ruft. Dem folgte ein objektiver Vortrag über überflüssige Kraftfahrerei in der Stadt, sind die meisten von uns doch mit zwei beweglichen Beinen ausgestattet, die zudem Zutritt zu öffentlichen Verkehrsmitteln erzeugen können.

Bis sein Komplementärkollege aus dem Wagen kam hatte ich ihn in einen stillschweigend erleuchteten Zustand versetzt. Ich nahm meine nun doch nur zwei Verwarnungen entgegen, da ich kurz vor meiner Haustür ertappt worden war. Dass ich den gesamten Weg bis zur Überwältigung rechtswidrig links gefahren war, hatten sie ja nicht gesehen.

Am nächsten Tag suchte ich mir einen neuen Weg, der legal sein, aber mir trotzdem alle vier (Auto-) Ampeln auf den 400 Metern zur S-Bahn ersparen sollte. Danke tapfere Krieger! Er ist drei Minuten kürzer. Die Musikhörverwarnung habt ihr ja unterlassen…

Nothing Personal

April 25, 2010

Sie sucht Einsamkeit. Für sich sein. Nicht angesehen werden. Nicht angesprochen. Nicht gefragt. Sie muss sich diese Einsamkeit erarbeiten durch schroffes Verhalten, Bockigkeit, Sturheit. Ihre Bewunderung seiner anderen Einsamkeit, die er lebt ohne danach zu suchen, ohne sie zu erzwingen. Wachsende Neugier, keine Ungeduld. Langsame Annäherung, nicht gespannt, fließend und sanft, respektvoll, behutsam, und auch witzig. Die leichte Berührung, die Stille, die soviel mehr ausdrückt als Worte.  Sie leben die Nähe ohne das Für sich sein des anderen zu stören, ohne das eigene aufzugeben, ohne besitzen zu wollen, ohne zu fordern. Der Abschied vom Toten, intensiv schmerzlich und liebevoll, ohne Tränen, allein mit ihm in einer Umarmung, die ich so schön noch nie gesehen habe.

Es gibt Filme, die sind leise, gehen tief, dringen ein. Brauchen nicht viele Worte – mehr noch – vertragen sie nicht, und lassen sich ebenso schwer mit Worten beschreiben. Die Darsteller können sich nicht auf einen auswendig gelernten Text stützen, auch auf keinen sorgfältig konstruierten Handlungsrahmen, der alles erklärt, bis keine Fragen mehr bleiben. Durch die leise Sensibilität, die von Anfang an mitschwingt, brauchen sie keine demonstrative Emotionalität  wie Tränen, die über schmerzverzerrte Gesichter laufen. Eine kleine Geste ruhig eingefangen, ein schelmisches Lächeln, Momente, die in ihrer Andeutung so viel erzählen, und doch einiges offenlassen, ohne aber Fragen aufzuwerfen, denn ich werde mitgetragen in einer Geschichte, die kein Ziel hat, nichts erreichen will, die keine Lösung bietet. Das nicht so offensichtlich Gezeigte ist von Anfang an deutlich spürbar, zieht mich in diese Welt, alles andere wird ausgeblendet, ich merke nicht mehr, dass ich im Kino sitze. Die Kamera begleitet auf zurückhaltende und gekonnte Weise die Situationen und ihre Aussage. Die eindringlichsten Momente sind nicht durch dramatische Musik untermalt, ich bleibe dadurch mehr bei mir, und mehr bei dem, was diese Bilder in mir auslösen. Natürlich sind es meine eigenen Erfahrungen, meine eigenen Gefühle, die ich da spüre, doch frage ich mich, wie es möglich ist einen Film zu machen, der sie in solcher Intensität wachruft.

Als das Licht angeht ist alles ruhig. Stille. Leise. Keine raschelnden Popcorntüten, kein aufgeregtes Austauschen der Eindrücke, die jeden in den ganz eigenen Bann ziehen. Der Saal leert sich in vollkommener Ruhe. Ein Film, der kein Aufsehen erregen wird, nicht gewinnbringend für die, die Unterhaltung suchen oder Kassen füllen wollen, umso wertvoller für mich und andere.

Prinzipien

April 25, 2010

Die Verfolgung von Lustprinzipien steigert das Wohlbefinden, und wird beim Sichüberwasserzumzweckedesatmenhalten sträflich vernachlässigt. Die Lust, die Schwimmer empfinden, während sie sich in der durch eigenen Muskelkraftantrieb ermöglichten Gleitphase unter Wasser befinden, ist den Sichüberwasserzumzweckedesatmenhaltenden natürlich fremd. Ihr Lustprinzip, mit ein oder auch mehreren Personen angeregt zu plaudern, sollten sie sich nicht durch die Verlegung ihres Aktionskreises vom Kaffeetisch in das Schwimmbecken erschweren, ausser ich melde endlich mein Patent aufblasbarer Kaffeetische an, rutsche damit schlagartig an Platz 1 der Forbes-Liste, kaufe  das Dante- und das Olympiabad, verbiete dort das Blasen, und baue so kleine Türen ein, dass kein bereits vorher aufgeblasener Kaffeetisch mehr durchpasst.

Es ist ein Hohlkreuz

April 18, 2010

Schwimmen ohne Kopf unter Wasser kann nicht ernsthaft als Schwimmen bezeichnet werden, sondern ist eine Methode des Sichüberwasserzumzweckedesatmenhaltens, während man sich in dem Element Wasser bewegt. Dies führt unweigerlich zu Fehlhaltungen insbesondere des Rückens und der Nackenpartie, und sollte, zumal dies meist auch mit der Vernachlässigung des Lustprinzips einhergeht, unterbunden werden, zum Wohle der Sichüberwasserzumzweckedesatmenhaltenden selbst, sowie dem der Schwimmer, die sich ja auch nicht nur, weil es heute gerade mal wieder so furchtbar heiss und schwül ist, erhobenen Hauptes auf die Autobahn stellen, um sich am Fahrtwind zu erfrischen.

Vierfalt

April 17, 2010

Kaum habe ich mich auf  Deutschlands größtem Flohmarkt zwei Stunden durch Menschenmassen geschoben stehe ich auch schon vor einem Stand, der ein buntes Sammelsurium an Stühlen anbietet. Vor allem 70er-Jahre in verschiedensten Variationen – Bürodrehstühle mit grobem, grellgrünem Sitzpolster. Küchenstühle, Chromgestell, die leuchtend orangefarbene Kunststoffbespannung mit Nieten befestigt, ein geriffelter Plastikgriff an der Rückenlehne. Plastikmonsterstühle aus einem Guss, schwarz, amorph. Plumpsstühle, sesselähnlich, buntes Punktinkreisinringmuster.

Eine vorbeischiebende Frau fragt kopfschüttelnd wer „sowas“ denn kaufen würde. Was macht sie überhaupt hier? Warum ist sie nicht bei Möbelmaxx? Ich möchte vier verschiedene Stühle kaufen. Ich liebe verschiedene Stühle. Verschiedene Lampen. Verschiedenes Besteck. Vielfalt, nicht Durcheinander. Eine Mutter sagt ihrer niedlich eingekleideten Tochter sie solle nichts anfassen auf dem Flohmarkt, da würden die Finger ganz schmutzig. Straffe Erziehung erzeugt einen lauteren Charakter.

Ausgerechnet heute bin ich nicht mit meinen vier verschiedenen Fahrrädern unterwegs, auf denen ich vier verschiedene Stühle transportieren könnte. Warum also nicht wenigstens einen Anfang machen mit einem verschiedenen Stuhl auf einem Fahrrad. Nächstes Jahr komme ich wieder und hole einen zweiten. Erstmal der Küchenstuhl. Kunstvoll rüttelresistent Chrombeine himmelwärts auf dem Gepäckträger festgezurrt, mich samt Rucksack, in dem sich auch noch eine verschiedene Lampe befindet, dazwischengeklemmt.

Zuhause sehe ich, der Stuhl passt überhaupt nicht zu meinen gleichartigen anderen, das ist ganz wunderbar. Nein, ich kann nicht bis nächstes Jahr warten mit der vierfachen Andersartigkeit. Mein zweiter Anlauf – alle guten Dinge sind drei – wird der abschliessende Dreistuhldrive. Wozu hat der Bürodrehstuhl Rollen? Hinten angebunden folgt er mir zuverlässig quietschend. Das Plastikmonster ist in seiner Unförmigkeit anscheinend ergonomisch ausgetüftelt und nicht nur zum Sitzen, sondern ebensogut  – über die Schultern geklemmt – als Rückenpanzer geeignet, nebenbei als Nackenstütze dienend. Würde es regnen, böte er zudem ein Regendach mit Abflussrinne. Somit ist der Gepäckträger noch frei. Der Plumpsstuhl knarzt ein wenig, als ich ihn darauf festklemme. Ich selbst vollführe Balanceakte auf dem vorderen Viertel des Sattels.

Später habe ich auf dem Balkon verschiedene Blumen gepflanzt. Bei den Blumen hat niemand gefragt, wer „sowas“ denn kaufen würde. Die Blumenerde hat meine Finger furchtbar schmutzig gemacht, ich hätte sie nicht anfassen dürfen. Manch geranienumrankter Nachbar wird sich wundern über die verschiedenen Farben und Formen, noch weiss er nicht, was ihm da blüht – wenn er erstmal meine Stühle sehen könnte. Vier gleichartige Stühle hätte ich zu verschenken. Ich werde sie auch nicht mehr anfassen, das könnte sie beschmutzen.

Puppenspiele

April 10, 2010

Ich hab´s wieder getan. Geshoppt. Zumindest nehme ich an, dass unter „shoppen“ gemeinhin das Hoppen von Shop zu Shop gemeint ist, unabhängig davon, ob man Beute macht oder nicht. Also war ich Shophopping mit Beutefang.

Von den letzten Hoppings noch entmutigt schöpfe ich Hoffnung, als ich im Laden drei Puppen – also Schaufensterpuppen –  ausmache, die genau solche Schuhe tragen, wie ich sie haben möchte, und von denen ich dachte, dass sie erst noch erfunden werden müssten. Ernüchterung meinerseits als die Verkäuferin erklärt, dass die Schuhe nicht im Verkaufsangebot enthalten sind, sie seien nur Deko. Puppenschuhe. Bedauern ihrerseits, als ich frage, ob die Deko denn käuflich sei. Nein, natürlich kann man die Puppen nicht ihres Schuhwerks entledigen, stünden sie doch sonst barfüßig da. Verständnis heuchelnd denke ich an meine eigenen Füße, und daran, wessen denn nun wichtiger seien. Ich beschliesse die Puppenfüße nackig zu machen, sobald ich unbeobachtet bin.

Dummerweise sind diese Puppen sehr steif und ungelenk, was nicht wundert, stehen sie doch den ganzen Tag nur rum, um begafft zu werden. Beim Versuch, dem widerspenstigen Plastikfuß das begehrte Stück zu entreissen, fängt doch die Dame zu kippeln an. Knacksend löst sich das Bein vom Rumpf und ich stehe mit Prothese und Schuh da, während die Puppe gar nicht dran denkt mit dem Kippeln aufzuhören. Wie gelähmt sehe ich zu, wie sie ihre Kolleginnen mitreisst, die sich dann, obgleich nur mit sekundären Geschlechtsmerkmalen ausgestattet, in einem schon fast unanständigen Durcheinander von Körperteilen ineinander verkeilen, um dann gemeinsam krachend zu Boden zu fallen.

Gelegenheiten sollte man ergreifen, und damit die drei Schuhpaare, die mir nun zu  den Füßen liegen, die sie tragen sollen. Die Körperteile stecke ich wieder zusammen, in der Eile bekommt die Schwarze einen weissen Kopf und andersrum. Mischlingspuppen.

Es hat bestimmt keiner mitbekommen. Ich gehe zur Kasse und zahle, wie es sich gehört.

Knaufbilder

April 3, 2010

Da wird wieder wie wild geknipst am Königsplatz. Die ollen Schinken auf der anderen Straßenseite, Weitwinkel schön weitmachen, damit auch wirklich das ganze Elend auf´s Bild passt. Wenn eine Ecke fehlt, könnte der spätere Betrachter das Bild nicht kapieren. Es könnte unbequem weil ungewohnt werden, Fragen aufwerfen, ja zutiefst verunsichern, denn schließlich will man ja wissen was man da vor sich hat.

Rücksichtsvoll, aber auch irritiert über meine Kriechbewegungen vor der Glyptothek, laufen mir die Menschen nicht vor die Linse. Ich robbe quasi über die Steinplatten, um einzufangen wodurch die Menschen hier einfach achtlos hindurchgehen. Verständnislose Blicke, wenn ich mich kauernd der Lächerlichkeit preisgebe, um das Licht und die Perspektive dafür zu suchen, was sie nur automatisch in die Hand nehmen. Den Türknauf. Mit dem sie die Eingangstür öffnen. Durch die sie in eben diesen ollen Schinken eintreten, den sie gerade noch von ganz weit weg fotografiert haben, vielleicht auch nur als schmückenden Hintergrund für das eigentliche Objekt der Begierde im Vordergrund – die Frau, den Mann, das Kind, den Pudel, das Auto, … Damit sie vom Betrachter einwandfrei identifiziert werden können bekommen sie Namensschilder um den Hals oder die Radkappe. Man will ja wissen, wen man vor sich hat…